Sonntag, 25. April 2010

Es war herrlich hier. Man konnte nichts anderes tun, als seine innere Katze zu streicheln, sich geborgen zu fühlen und Schnaps zu trinken. Der Sturm wurde stärker und stärker. Mehr und mehr Männer strömten in die Kneipe. Das war mal sehr gut, heute schon ein bißchen früher herzukommen, denn das Letzte, was man jetzt noch gebrauchen konnte, war ein stehendes Getränk.

Die ganze Nacht war hier noch niemand rausgegangen, nur immer neue Seeleute, die völlig durchnäßt und frierend schon Grog bestellten ehe sie richtig zur Tür rein waren. Es fehlte ganz klar an Regenmänteln. Das jedenfalls stand fest. So einem Unwetter hat man äußerst selten Gelegenheit beizuwohnen. Ich begann langsam zu vergessen, daß auch ich nach wie vor naß war, obgleich ich schon seit Stunden hier war. Nicht, daß ich in dieser Nacht irgendein Gefühl für Zeit gehabt hätte, aber die beachtliche Anzahl von Gläsern und Flaschen vor mir ließ mich hoffen, daß ich dafür wenigstens mehrere Stunden gebraucht hatte. Sonst würde das hier alles wohl ganz schrecklich enden.

So wie bei dem schmächtigen Typen am runden Tisch neben der Tür, der neben einem ebenfalls beachtlichen Berg von leeren Flaschen – denn der Wirt ignorierte nicht nur mich hier am Tresen, sondern alle Gäste, die bereits mehrfach hier gewesen waren – das war seine Art und zu den Stammgästen war er am häßlichsten – auch einen halbvollen Teller Fischsuppe stehen hatte, den er zunächst leer gegessen hatte, um ihn wenig später wieder vollzukotzen. Mit dem Gesicht auf dem Teller, blies er schnarchend Blasen in die Matsche.

Nun war das natürlich alles andere als selten, daß sowas hier passierte, aber die beiden anderen Kerle an seinem Tisch, auch schon sehr gut unterwegs, schienen für heute den Anfang machen zu wollen, also als erste zu gehen und das hatte sicherlich nicht wenig mit beißenden Geruch ihres Tischnachbarn zu tun. Ich versuchte, die Uhr über der Tür auszumachen, weil es mir noch viel zu früh erschien, aber im ganzen Raum standen nicht nur Menschen, sondern auch der Rauch. Also schaute ich wieder hinaus zur See, die ihre Wellen immer höher aufzutürmen schien.

Ab und an konnte man, wenn es blitzte, ein Schiff am Horizont erblicken und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, daß dessen Mannschaft hier ankommen würde. Manchmal fuhren die Schiffe natürlich auch einfach vorbei am Hafen. Dieses winzige Fenster hier am Tresen stellte sich also doch als Gewinn an diesem Abend für mich heraus. Sitzend einen Teil der Welt beobachten, ohne nasse Füße und leider ohne Wind im Gesicht. Sollte noch etwas Zeit bleiben, würde ich versuchen zu dem einzeln stehenden Haus acht Meilen nordöstlich von hier zu fahren. Vielleicht ein Puff. Oder die Post, wer weiß.

Irgendwann mußte doch ihr Schiff ankommen. Seit zwei Tagen und Nächten saß ich jetzt hier in diesem Kaff. Wobei das auf so eine lange Distanz jetzt auch keine allzu große Verspätung ausmachte. Und Tag und Nacht zu unterscheiden war hier eh kaum möglich, also irrte ich mich vielleicht auch. Das Unwetter ging wohl seit einer Woche, hatte mir vor ein paar Stunden eine Dirne zugeflüstert, um mich in ihre Arme zu locken.

Es wurde tags nicht richtig hell und nachts blitzte es durch die Dunkelheit. Sicher war nur, daß ich am fünfzehnten hier angekommen war und seitdem völlig ohne Zeitgefühl in diesem Ort, dessen Namen ich weder auszusprechen wagte noch konnte, durch Straßen und Kneipen zog – auf ihr Schiff wartend.

Nachdem sich der Eine seine Jacke mit einiger Mühe übergestreift hatte und bereits zur Tür stolperte, gab der Andere das mit der Jacke auf, klemmte sie sich unter den Arm und torkelte hinterher. Er zögerte auf halber Strecke zum Ausgang, blickte sich um, sah den schnarchenden Dritten im Bunde, der natürlich nichts von alldem mitbekam und fragte den Vorausgegangenen in Nordlondoner Dialekt What shall we do with the drunken sailor?. Erst mit genau dieser Promilleunterstützung ist dieser Dialekt in seiner ganzen Pracht zu genießen.

Unsicherheit in den Gesichtern. Man verständigte sich, ihn morgen früh zu holen, er schade hier ja niemandem. Der Eine zeigte auf den Schlafenden, machte eine Geste zum Wirt, daß man ihn hierlasse und rief ihm zu early in the morning. Interessierte den wenig, aber der Straßenmusiker, der wenige Minuten zuvor gekommen war, um ein Bier zu trinken, machte sich irgendwelche Notizen. Wahrscheinlich nur zufällig. Ich war überrascht, daß er überhaupt schreiben konnte. Noten malte er noch ein paar und vermutlich könnte man am nächsten Morgen hören, was er da wieder zusammengesponnen hatte.

Schiller kam jetzt rein. Er hatte neue Hosen an. Das überraschte mich wenig, war er doch vor kurzem erst diesbezüglich unterwegs gewesen. Er bestellte drei Bier für sich und seine zwei Begleiterinnen tranken Gin. Er sah mich nicht und setzte sich an den eben frei gewordenen Tisch der Engländer, was einige Gäste, die schon länger da waren, verärgerte, weil sie auf die Plätze spekuliert hatten. Schiller klärte alles ohne großes Zutun über seinen Charme.

Und die beiden jungen Damen sorgten natürlich ebenfalls für gehobene Stimmung. Weil ja nur zwei Stühle frei waren, setzte sich eines der Mädchen auf Schillers Schoß. Die andere stellte sich auf den anderen Stuhl und zog tanzend ihren Mantel aus. Der Schlafende wachte auf. Er aß einen Löffel von seinem Teller und schlief wieder ein. Schiller zündete sich amusiert eine Zigarette an und grüßte mich jetzt durch den Raum. Wir hatten uns ewig nicht gesehen und ich ging rüber zur Toilette.
(Janvier 2009)

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