Mittwoch, 17. August 2011

Ein Bäcker wie er im Buche steht

Thomas Schulze ist seit 25 Jahren im Geschäft
Biep – biepbiep – biiiep. Der Wecker reißt mich aus dem Schlaf und beendet die Nacht. Ich schlurfe ins Bad, mit nahezu geschlossenen Augen, man kennt ja den Weg. Vor lauter Müdigkeit verfalle ich in Zähneputztrance und putze immer weiter, bestimmt zehn Minuten, bis gar kein Schaum mehr da ist. Die Hose von gestern und das erstbeste Hemd geschnappt, beschließe ich, die Küche links liegen zu lassen und direkt zum Bäcker zu gehen. Die Straßen sind noch ziemlich lehr und nach dreivier Minuten Fußweg überquere ich den Lindenweg und bin schon da: Bäckerei Schulze. Die Tür ist verschlossen, drinnen brennt kein Licht. Ich schaue auf meine Armbanduhr, es ist kurz vor halb drei.

Als in der Ferne ein Kirchturm halb drei schlägt, den ich noch nie gehört habe, öffnet sich pünktlich der Nebeneingang der Bäckerei. Der Chef begrüßt mich freundlich: „Immer rein in die gute Stube!“ Er scheint deutlich wacher zu sein als ich, was allerdings auch kein Kunststück ist, wie er mir zu verstehen gibt: „Soll ich Ihnen einen Arzt rufen?“, zieht er mich auf. Er selbst ist seit zwei Stunden wach und schenkt uns jetzt Kaffee ein. In der Backstube läuft relativ laut Musik. Gute Musik. „Das ist ein großer Vorteil: Wenn ich mit der Arbeit beginne, sind die ganzen Idioten vom Frühstücksradio noch in der Heia.“

Bäcker Thomas Schulze steht seit seinem neunzehnten Lebensjahr in der Backstube auf der Carolastraße. „Nächstes Jahr haben wir Silberhochzeit“, sagt er und freut sich darüber, daß er damit nicht sich und seine Frau meint. „Nee, die kenn ich noch gar nicht so lange.“ Schulze hat die Bäckerei von seinem Vater übernommen, der sie in den siebziger Jahren gründete, als das Viertel noch ein lebendiges Nachtleben hatte. Oft seien da Nachtschwärmer in der Backstube gelandet und hätten sich die Finger verbrannt, weil sie die Brötchen direkt vom Blech weg essen wollten, erzählt der heutige Chef und man spürt die Nostalgie in seinen Worten.

Wir ziehen beide Schürzen an und schon steckt der Bäckermeister bis zu den Ellbogen in einer sehr großen Schüsseln mit Teig. „Das werden die Roggenbrötchen, da muß der Teig relativ lange ziehen. Deswegen mach ich die zuerst.“ Als nächstes geht es an den hellen Teig für die Doppelbrötchen und einfachen Semmeln – „unsere Topseller!“, schmunzelt Schulze. Er verkaufe mittlerweile sehr viel mehr dunkles Brot und Vollkornprodukt als früher, aber die Klassiker seien nach wie vor sehr gefragt.

Sehr gefragt sind in der Bäckerei auch die Kuchen des Chefs. „Ich backe da nix Weltbewegendes“, sagt er zwar, aber die Menschen im Viertel wissen genau, wo man ein vernünftiges Stück Zupfkuchen oder Erdbeertorte bekommt, wenn Oma mal zu Besuch ist. „Viele Leute nervt es, daß sie nur noch diese überall gleichen Backshops finden.“ Ein Ehepaar käme sogar vom anderen Ende der Stadt zu ihm, verrät Thomas Schulze ein wenig stolz. „Einige meiner Freunde hat es mittlerweile ins Ausland verschlagen. Aber wenn die Weihnachten mal da sind, kommen sie sofort hier her!“ Dann gebe es sogar manchmal noch Nächte mit partyartigen Zuständen in der Backstube, wie sie Thomas Schulze von den Erzählungen seines Vaters kennt.

„Vorsicht!“ Ich zucke zusammen, bin ich etwa weggedöst? Thomas Schulze lacht. Er zieht ein heißes Blech aus dem riesigen Ofen und trägt es an mir vorbei nebenan in den Ladenraum. „Ich wollte Sie nicht erschrecken“, versichert er mir. Seine Kollegin komme immer erst halb sechs und da habe er es sich angewöhnt mit der Stille in der Backstube einen Kampf auszutragen. Das Qualitätsradio sei da nur eine Möglichkeit. „Wissen Sie, zwischen zwei und vier liegt die Stadt in meiner Hand und ich schrei, ich schrei. Ich schrei so laut ich kann!“

Thomas Schulze brüllt gerade ein Blech Weißbrot an, als ich ihn frage, ob er nicht einsam sei, weil ihn sein Tagesrhythmus von vielen anderen abschirme. „Ich kann sehr gut Mitmenschen umgehen, das stimmt. Aber wissen Sie, die meisten davon sind doch eh bescheuert.“ In diesen Worten liegt keinerlei Emotion. „Das ist einfach so.“ In seinem unmittelbaren Umfeld allerdings fühle er sich sehr wohl. Er schlafe meist von Nachmittags um Vier oder um Fünf bis kurz nach Mitternacht. „Da kommt doch eh nix Gescheites im Fernsehen“, lacht er jetzt wieder.

Als Heidi Müller den Laden betritt, ist es schon eine Weile hell. Auch sie wirkt keineswegs müde oder gar morgenmufflich. Alle Handgriffe sitzen, Schulze und sie sind ein eingespieltes Team. Innerhalb von zehn Minuten sieht der Laden aus, wie ein Laden auszusehen hat. Es ist kurz vor halb sechs, Schulze gießt uns drei Tassen Kaffee ein, auch „weil die Kunden den Geruch erwarten.“ Zwei Männer im Blaumann warten schon vorm Schaufenster, die Kirchturmuhr, die ich jetzt seit drei Stunden kenne, schlägt. Die Tür öffnet sich. Biep – biep - biep. „Guten Morgen!“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen