Donnerstag, 6. Oktober 2011

Doppelleben in der Halbwelt

I

Nachdem ich die Schlampe abgeknallt hatte, kochte ich mir erstmal einen Kakao. Ich hatte vorher noch nie einen Induktionsherd benutzt, aber Einschalten, Kochen, Umrühren ist halt auch da nur Einschalten, Kochen, Umrühren. Ich nahm eine Milch aus dem Kühlschrank und einen Topf aus dem Schrank. Das Kakaopulver rührte ich mit einem Schneebesen unter. Das hätte ich zuhause nicht gemacht, weil ich Schneebesen eigentlich haßte für ihr dämliches Verhalten beim Abwaschen. War mir hier aber egal, ich mußte ja nichts abwaschen. Ich schaltete den Herd aus und goß die Tasse viel zu voll, sodaß ich nur ganz langsam zum Balkon gehen konnte, ohne etwas zu verschütten, in Zeitlupe fast.

Es war angenehm warm draußen, jedenfalls für Mitte Februar. Ich ließ mich umständlich in den Sonnenstuhl fallen, nachdem ich den Schnee mit dem Fuß runter gefegt hatte, mit der heißen Tasse in der Hand, aber es gelang. Ich schaute mich um und in die Sonne und nach links und nach rechts, und ich dachte: Hier läßt es sich wohnen.

Der Kakao schmeckte hervorragend, aber die heiße Tasse machte mir zu schaffen. Wenn ich sie in den Schnee neben den Stuhl stellte, wurde der Kakao kalt. In meinen Händen war es ohne Handschuhe kaum zu ertragen. Mit Handschuhen konnte ich aber nicht rauchen. Ich war ziemlich am Arsch. Beim Herausfummeln der Zigarettenschachtel passierte es dann schließlich: die Tasse kippte und ergoß den Kakao hälftig auf meinen Ärmel, hälftig in den Schnee, der gleich darunter wegschmolz und den Blick auf den sehr schönen Holzboden des Balkons freigab. Scheiße.

Ich stapfte wieder rein und holte den Schneebesen nochmal aus der Spüle. Die restliche Milch goß ich in den Topf, Herd an usw. usf. – kann man sich ja vorstellen. Während die Milch warm wurde, schaute ich mich im Kühlschrank um, fand aber nichts. Ich setzte mich diesmal mit dem Kakao auf die Couch und legte die immer noch vom Schnee nassen Schuhe auf den Tisch. Die Sohlen quietschten auf der Glasplatte. Es gab keinen Fernseher in der Wohnung aber ein großes Bücherregal und eine Hifi-Anlage. Ich kniff die Augen zusammen und drehte den Kopf zur Seite, um die Titel auf den Buchrücken zu lesen. Alles Kunstbände, ab und an mal ein Roman dazwischen. Wie kann man denn soviele Bücher haben und sie dann nicht systematisch anordnen? Ich verlor das Interesse an diesem Durcheinander und widmete mich wieder der Milch. Die Couch war sehr bequem und ich fühlte mich hier wirklich wohl. Ja, konnte man so sagen.

Ich nahm die Fernbedienung vom Tisch und schaltete die Hifi-Anlage an. Die Musik dudelte vor sich hin, die Boxen waren gut aufgestellt. Als ich nochmal nebenbei meinen Blick über das Bücherregal schweifen ließ, sah ich etwas oder vielmehr: glaubte ich etwas zu sehen, das mich den Kakao abstellen und mich zum Regal gehen ließ. Tatsächlich, eine Pléiade-Ausgabe von Céline, der erste Band der Romane mit der Reise und dem Tod auf Raten. Ich steckte das Buch ein, wäre ja schade drum.

Bevor ich die Wohnung verließ, schüttete ich noch eine Blumenvase auf die Leiche, vielleicht könnte ein junger Polizist da eine interessante Spur reindeuten. Ich ließ die Tür ins Schloß fallen und ging an den Aufzügen vorbei ins halbdunkle Treppenhaus. Es war am frühen Abend und ich begegnete zwei Omis, die mich grüßten. Unten fischte ich noch einen Umschlag aus dem Briefkasten.
Ich trat heraus, stellte den Mantel ein wenig auf, weil es unterdessen zu schneien begonnen hatte.


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II

Ich nahm wie fast jeden Morgen einen kleinen Kaffee mit Schuß und zwei Stück Kuchen. »Wie immer?«, hatte mich der Bäcker gefragt, ich hatte nur genickt, mir eine Zeitung geschnappt und mich an einen der drei kleinen Tische gesetzt. TOCHTER DES BÜRGERMEISTERS ERMORDET titelte die Zeitung und ich bekam mit, wie ein älterer Herr und der Bäcker vorn aufgeregt darüber sprachen. Ich dachte nur: »Tja, das war ich.« und schaute mir den Wetterbericht auf der letzten Seite an. Nichts Besonderes. Mein Kaffee kam und ich fragte den Bäcker, ob er schon von diesem Mord gehört habe. »Natürlich! Die ganze Stadt spricht davon! So ein hübsches, unschuldiges Mädchen!« »Ja hübsch war sie wirklich«, sagte ich und zeigte auf das Photo. Sie war wirklich hübsch, ich hatte schon überlegt, ob ich noch mit ihr schlafen sollte, aber dann ergab sich der Moment so schön und ich konnte nicht anders als sie gleich abzuknallen. Vielleicht beim nächsten Mal.

Als ich an der Uni ankam, war die Tür des Vorlesungssaals bereits geschlossen. Ich drückte nur ganz langsam die Klinke herab, weil ich wußte, was der Professor von Verspätungen hielt und hoffte darauf, daß er so beschäftigt sei, daß er mich nicht bemerkte. Als ich die Klinke fast ganz runter gedrückt hatte, hob ich die Tür ein winziges Stück an und zog sie langsam auf, genau soweit, daß sie nicht knarrte und daß ich mich reinquetschen konnte. Genau so langsam drückte ich die Klinke wieder nach oben und zog die Tür wieder zu. Eine Meisterleistung. Ich drehte mich um, der Hörsaal war leer.

Ich lief rüber zur Cafeteria, es ging drunter und drüber, aber es schien mir irgendwie anders drunter und drüber als sonst. Weil ich mich mal wieder nicht entscheiden konnte, ob hier der Kaffee oder der Kakao weniger schmeckte, nahm ich einen Tee, der auch nicht schmeckte. An einem der Tische sah ich einen Kommilitonen, den ich zwar nicht per Namen kannte, aber wenigstens fragen wollte, was denn mit der Vorlesung sei. »Der ist heute einfach nicht gekommen! Die vom Sekretariat wissen auch nichts. Ich mein, ich will ja niemanden verdächtigen, aber das ist doch komisch, gestern wird die Kleine vom Bürgermeister umgebracht und heute kommt der nicht!« Was für ein Idiot, dachte ich, deinen Namen werde ich mir nienienie merken. Ich goß den Tee in die Kunstblumen, die sich sofort der Hitze beugten und er schaute mich entsetzt an. Ich ging weg ohne mich zu verabschieden.

Auf der anderen Straßenseite sah ich zwei Polizisten an meinem Tisch beim Bäcker sitzen. Ich ging hin, weil ich den einen, den dünnen, von früher her kannte. Wir waren mal an der gleichen Schule und unterhielten uns gelegentlich, wenn wir uns über den Weg liefen. »Ahoi«, sagte ich, als ich die Bäckerei betrat, der andere Polizist zog mir einen Stuhl an ihren Tisch, der eigentlich schon für zwei zu klein war. »Willst du auch ‘ne Schokolade?«, fragte er mich und ich antwortet ihm, daß ich grad schon mal hier war und satt sei. »Eine Schokolade ist ja auch was zu trinken, ich lad dich ein« – er bestellte mir eine Schokolade. Der Polizist, dein Freund und Helfer. »Was treibt euch denn hierher?«, fragte ich und sie guckten mich an, wie das Schwein ins Uhrwerk. »Sag bloß, der feine Herr Student hat nicht mitbekommen, daß die Tochter vom Bürgermeister ermordet wurde?« Doch, natürlich. Der dünne Polizist, dessen Namen ich eigentlich kennen müßte, zeigte mit seiner linken Hand in Richtung Schaufenster und murmelte mit vollem Kuchenmund: »Ortübn.« Er fuchtelte mit dem Arm ein bißchen, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. Ich verstand nicht recht. Er schluckte runter und sagte:
»Man, die hat dort drüben gewohnt und da haben wir sie gefunden.«
»Hier?«
»Ja.«
»Ihr?«
»Naja, nicht wir beide, aber wir von der Polizei. Sag mal, was machst du eigentlich hier? Bist du etwa fertig mit deinem Studium?«
»Bald. Der Professor ist heute nicht gekommen, keiner weiß, warum.«
»Aha.«


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