Friedrich Schillers Enkelin ließ jetzt eine Photographie rumgehen, auf der eine Art Murmeltier zu sehen war, das auf den Hinterbeinen stehend mit beiden Händen eine kleine Colaflasche umfaßte und daraus trank. Eigentlich ein ganz außerordentliches Bild, sagte Madame Vaugirard. Ihr Mann zeigte wenig Interesse an der Photographie, wie er es eigentlich mit allen Dingen zu tun pflegte, schien jedoch von diesem Gefühlsausbruch seiner Frau ein wenig überrascht. Wenigstens zuckte sein linkes Ohrläppchen geringfügig mehr als es es sonst tat.
Garibaldi hatte dies beobachtet. Er war Dichter und lebte genau von diesen kleinen Details, welche andere übersahen und welche er in ganz bezaubernde kleine Oden einflocht. Schillers Enkelin, deren Namen ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Erfahrung bringen konnte, weil ich durch das Pferderennen bedingt, ein wenig zu spät erschienen war, jedenfalls erst nachdem Mademoiselle vorgestellt wurde und nun noch danach zu fragen, hätte für peinliche Blicke an allen Enden gesorgt, zeigte nun auf ein Detail links im Bild: einen Automaten, dem man für einige Pesos, denn es handelte sich hierbei, so ließ sie jetzt en passant einfließen, um eine Aufnahme aus Peru, eine Flasche dieser Limonade entnehmen konnte, um sie dem Tier zu überreichen, welches sie dann in einem Zug leerte, bevor es mit einem herzhaften Rülps den umstehenden Beifall einläutete.
Freilich sagte Mademoiselle Schiller, so nannte ich Schillers Enkelin von nun an in Gedanken, nicht Rülps. Das wäre der Situation nicht angemessen gewesen. Vielmehr ahmte sie das Geräusch des Tieres nach und auch hier staunten und applaudierten nun alle Umstehenden.
Garibaldi begann im Folgenden eine lebhafte Erzählung über einen Waschbären, der wiederum, so traute sich Madame Lecourbe, die seit jeher über die neuesten Vorgänge in der Hauptstadt informiert gewesen war, einzuwerfen, kürzlich in Paris zum Tier des vergangenen Jahrhunderts gewählt worden war, was die Gesellschaft anerkennend goutierte, und der, so nahm Garibaldi wieder den Faden des Erzählens auf, um die Zuhörer für seine Geschichte zurückzugewinnen, so kleine Hände mit richtigen Fingern habe wie ein Mensch, weswegen er jetzt überhaupt erst auf die Erzählung gekommen sei, weil Madame Schiller, sie trug also tatsächlich noch den Namen des Großvaters und war zudem bereits, trotz ihrer jugendlichen Erscheinung, ihrer knospenden Schönheit, vermählt, eben von den Händen des Murmeltieres gesprochen hatte, von diesen kleinen menschlichen Händen.
Er habe eben diese in einer Fernsehdokumentation über den Waschbären bewundert, die eines dieser wundervollen Geschöpfe, wie er sie jederzeit nannte, zeigte, wie es mit gespreizten Beinen über einem kleinen Rinnsal stand und sich am Anblick der es umgebenden Landschaft erfreute, während es vorn ein wenig übergebeugt, mit diesen kleinen Händen im Wasser versuchte, einen Fisch zu erhaschen, was ihm, obwohl es mit den Augen ganz an anderer Stelle war, gelang. Garibaldi, welcher nicht unbedingt für seine überschwängliche Emotionalität bekannt war, zeigte sich für seine Verhältnisse äußerst angetan von diesem wundervollen Geschöpf.
Monsieur Vaugirard, der sich offensichtlich von der Gesellschaft entfernt hatte, welche dies ob der faszinierenden Erzählung Garibaldis wohl gar nicht bemerkt hatte, betrat in diesem Moment den Salon von der Seite des Gartens. Er hatte die schwere Flügeltür geöffnet und führte zur allgemeinen Überraschung einen Waschbären an der Leine.
Sehen Sie sich das an, meine Damen! entfuhr es Madame Lecourbe und sie zeigte auf Monsieur Vaugirard und seinen Waschbären, der sich nun an seinem Auftritt erfreute, dies jedoch in der angemessenen Distanziertheit zur Schau stellte, ein Eichhörnchen! Vaugirards Ohrläppchen zuckte erneut ganz zart. Madame Lecourbe hatte hinter den beiden, Monsieur Vaugirard und dem Waschbären, durch die offenstehende Flügeltür im Garten ein Eichhörnchen entdeckt und auch die anderen anwesenden Damen und Herren zeigten sich von ihm entzückt und traten hinaus und hin zu dem Tier, um es zu streicheln.
Es wunderte mich ein wenig, daß sich die Damen, durch und durch Frauen von Welt, also ausgesprochene Städterinnen, gar nicht fürchteten und noch mehr, daß sich das Eichhörnchen gar nicht scheu zeigte, ganz im Gegenteil die Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu schätzen, ja zu genießen schien. Monsieur Vaugirard hatte den Waschbären nun von der Leine losgemacht, während ich eine kleine Melodie, ein Streicherquartett von Mozart oder den Flowwalzer, ich erinnere mich nicht genau, am Flügel improvisierte. Das Tier schien sich für mich oder meine Musik zu interessieren, legte es sich doch unverzüglich auf meinen schwarzbefrackten Schoß.
Die Gesellschaft hatte nun im Garten zwischen den alten Eichen, die vor mehr als achtzig Jahren Madame Vaugirards Großvater, ein Zeitgenosse Schillers Vaters, pflanzen ließ, Platz genommen, auch Monsieur Vaugirard trat nun zu ihnen, nachdem er dem Dienstmädchen aufgetragen hatte, ein wenig Kaviar auf den Grill zu legen. Das Dienstmädchen, ein durch und durch elegantes Wesen, das in seinem Schürzchen wie verkleidet wirkte, machte einen Knicks und ging in die Küche, um alle Vorbereitungen für ein rauschendes Grillfest einzuleiten. Als erstes öffnete sie dafür eine Dose Bier und trank sie, äußerst elegant, sodaß ich von meinem Platz am Flügel aus, während ich weiterspielte, um den Waschbären, der unterdessen friedlich eingeschlafen war, nicht zu wecken, sie schräg durch die Küchentür beobachtend, an das colatrinkende Murmeltier denken mußte.
Madame Schiller war nun in den Salon und an den Flügel getreten, ohne daß ich sie bemerkt hatte und ertappte mich beim Spiel. Sie erfreute sich an meinem überraschten Gesichtsausdruck und begann einen Choral von Bach zu singen, der zufällig ausgesprochen gut zu der Melodie paßte, die ich spielte, den sie allerdings abbrach, darüber lachend, daß sie jetzt den Waschbären auf meinem Schoß entdeckte. Das Tier erwachte, und wirkte wie aus süßesten Träumen gerissen, verdutzt, taumelte durch den Raum, sich umblickend, aber nicht wissend, wo es denn hier gelandet sei.
Friedrich Schillers Enkelin setzte sich daraufhin frech auf meinen Schoß, wieder war ich überrascht, wieder war ich angenehm überrascht. Sie sagte: Weggegangen, Platz gefangen und wir lächelten beide, wie man es sich eben in solch einer Situation vorzustellen hat. Ich fragte sie, ob denn ihr Herr Gemahl nichts gegen ihre forsche Art gegenüber fremden Herren habe. Ihr Gesicht verzog sich fast unmerklich, aber Garibaldi hätte es ebenso bemerkt wie ich, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre, und sie sagte, daß sie dies nicht genau wisse, weil sie nicht mehr allzu oft mit ihm gesprochen habe seit er verstorben war. Ich bekundete ihr mein Beileid, mehr aus Reflex als aus Überzeugung, aber sie sagte gleich, daß wir beide nun einmal hier seien und Monsieur Schiller ja tot. Ich blickte mich im Salon um und suchte nach einem Neuanfang.
Das ist wirklich eine ausgezeichnete Photographie, die sie da aus Peru mitgebracht haben, die Schönheit der Natur scheint sich in ihr zu kristallisieren.
Das haben Sie schön gesagt Monsieur –
d'Avenir, Guillaume d'Avenir, Madame, aber bitte nennen Sie mich doch Gilles.
Nun gut, Monsieur Gilles, das haben Sie sehr schön gesagt. Ich kann Ihnen gern einen Abzug des Bildes per Email schicken, wenn Sie mögen, oder Sie begleiten mich kurz mit hinauf, ich habe noch einen schönen Abzug in Schwarz-Weiß in meinem Gepäck.
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Es war ausgesprochen heiß geworden an diesem Nachmittag, als wir zurück zur Gesellschaft hinabstiegen. Wir kamen natürlich nicht gemeinsam, ich wartete einige Momente. Sie unterhielt sich angeregt mit einigen Damen, deren Namen ich nicht kannte, und zeigte, als ich dazu stieß, auf das Eichhörnchen, welches sich jetzt auf der Eiche neben dem Poolhaus einer Kastanie widmete.
... und das alles ganz ohne Drogen!?!! Mann o Mann, da schnauf ich kurz durch!
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