Mittwoch, 19. Januar 2011

Er wußte für den Moment gar nicht, was ihm am meisten zusetzte. War es der Jetlag nach fast zwölf Stunden Flug? Früh am Morgen war die Maschine in Paris in Richtung Süden gestartet und jetzt war es kurz vor Mitternacht, wie er beim prüfenden Blick auf seine noch funktionierende Armbanduhr feststellte. Oder war es die brütende Hitze von sicherlich über Vierzig Grad und diese verdammte Luftfeuchtigkeit hier auf der Insel?

Langsam wurde ihm klar, daß es wohl doch eher die Tatsache war, daß scheinbar niemand außer ihm den Absturz überlebt hatte. Überall um ihn herum lagen Leichen und er empfand dies als sehr unangenehm.

Es riecht eigentlich wie beim Grillen, dachte er. Nur, daß man keinen Hunger bekommt und daß das Bier fehlt. Ein schwer nachzuvollziehender Vergleich, wie man ihn wohl nur ziehen kann, wenn man schon mal einen Flugzeugabsturz erlebt hat. Überlebt hat, müßte es richtiger heißen, denn erlebt hatten ihn ja auch seine nun angeschmorten Mitpassagiere. Er dachte daran, daß er in letzter Zeit häufiger von Fernsehköchen gehört hatte, man solle Fleisch immer ganz lange bei niedriger Temperatur braten und daß er sich dabei immer gefragt hatte, warum er noch nie jemanden getroffen hatte, der das auch so machte. Das gehört doch alles gar nicht hier her!, schrie er jetzt, um sich mal am Riemen zu reißen, wie sein Großvater immer zu sagen pflegte. Jedenfalls wollte er sich von nun an der Situation gemäß verhalten.

Er entfernte sich vom hier und da noch rauchenden Flugzeugwrack bis er nicht mehr an Barbecue denken mußte und legte sich in den Sand. Er blickte aufs Meer hinaus und dachte: Ich bin ganz schön cool. Jeder andere würde hier panisch rumrennen und ich liege im Sand und überlege, ob ich ins Wasser gehe oder ob es hier Haie gibt.

Wahrscheinlich bin ich deswegen so cool, weil ich Jahre lang nie geflogen bin. Wegen der Angst vorm Absturz. Wenn ich das jemandem gesagt habe, kam der- oder diejenige dann immer mit irgendwelchen Statistiken … und soundsoviele Verkehrstote auf den Straßen und so weiter. Mir war immer klar, daß wenn einer abstürzt, dann ja wohl ich. Vielleicht steh ich aber auch ein wenig unter Adrenalin. Könnte ja auch sein, dachte er und schlummerte im Sand ein.

Du verbrennst dir tierisch das Gesicht!, hörte er sich sagen und wunderte sich dabei über seine hohe Stimme. Klingen Stimmen denn auf der Südhalbkugel anders? Da hatte er noch nie etwas drüber gelesen. Unlogisch schien es ihm aber nicht.

Du verbrennst dir tierisch das Gesicht, wenn du einfach so in der Sonne einschläfst.
Denk ich hier unten jetzt immer zweimal und beim zweiten Mal mit Erklärung? Wahrscheinlich sollte ich mal was trinken. Er richtete sich auf und fühlte sich wie in einem schlechten Film oder einem sehr guten Traum. Vor ihm stand Doreen, die Stewardess. Ihre Uniform war total dreckig und zerfetzt, ja sogar naß. Sie stand vielleicht einen Meter vor ihm und er schaute zu ihr auf. Die Sonne blitzte zwischen ihren Beinen hervor.

Du siehst aus wie eine Pornodarstellerin, sagte er.

Hör auf mit deinen Phantasien, erwiderte sie.

Er stand auf und sah, daß ihre Uniform weder naß noch dreckig oder zerfetzt war.

Ich bin Walter, sagte er.

Und ich Doreen, aber das weißt du ja schon.

Sie blieb im Sand stecken und fiel hin. And when Doreen begins to fall you’ll ride my rainbow in my sky. Sie lachte. Er half ihr auf und fragte, ob sie seine Singstimme nicht möge.

Doch doch.

Wo gehen wir eigentlich hin?, fragte er jetzt und sie zuckte mit den Achseln. Oder sagt man: mit den Schultern? So eine dämliche Frage schon wieder, dachte er.

Was machen wir denn mit den ganzen Leichen? Er wußte es nicht.

Letztendlich müssen wir sie bestimmt essen. Sie schaute ihn angewidert an.

Naja, oder als Angelköder benutzen. Ihre Angewidertheit steigerte sich.

Was denn? Das hab ich mir doch nicht ausgedacht! Hast du noch nie so einen Absturzfilm gesehen? Hier kommt bestimmt nicht alle drei Minuten eine riesige Yacht vorbei, deren in weißen Leinenkleidern gehüllte Cocktailparty-Besatzung uns liebend gern zu erotischen Abenteuern abholt.

Och, man! Sei doch nicht so negativ!

Sie guckte ein bißchen ärgerlich und ein bißchen aufmunternd bis frech.

Erstmal brauchen wir ein Nachtlager, sagte sie jetzt.

Sollten wir nicht erstmal gucken, ob noch jemand von den Leichen lebt?, fragte er. Schließlich dachte ich ja erst auch, ich wäre der einzige Überlebende.

Leichen können nicht leben! Das geht per Definition schon mal nicht. Außerdem hab ich das schon gemacht, also nachgeguckt wegen Überlebenden, während der feine Herr sein Nickerchen am Strand gehalten hat.

Und?

Alle mausetot.

Ach so.

4 Kommentare:

  1. ..der Anfang eines großen Werkes.. ich bin gespannt!

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  2. ich bin mir sicher, das es sich hierbei um einen klassiker der post-post-moderne handelt. dürfte ich den text mit meinen studenten diskutieren?

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  3. Will ich bin jetzt Fan von Dir! Saustark, der absolute Knaller!

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  4. Fräulein Suzanne, Sie haben Recht, es wird ein großes Werk! Sex, Esprit, alles!

    Dr. Text, auch Sie haben mit der Post-Post-Moderne nicht unrecht. Ich schlage vor, daß Sie mit Ihren Studierenden anhand des Werkzeuges, das uns die Herren Prof. Fuko und Herr Schennett sowie Frau Prof. Homa an die Hand gegeben haben, den Text "abklopfen".

    Und Anonym, was soll ich sagen? Ich hasse dich auch.

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