Die Nacht begann nachmittags um Fünf. Aber vorm Schlafengehen mußte sie noch ein Geschenk für ihre Mutter kaufen. Sie verließ nochmal die Nacht und betrat das Warenhaus unten an der Maigretstraße.
Kaum, daß sie die Türschwelle hinter sich gelassen hatte, fiel sie um. Der sechzig Grad heiße Passatwind hatte sie umgehauen. Als sie wieder zu sich kam, und sich Mütze und Schal ablegend umsah, wurde es schon wieder Nacht. Diesmal blies sie der Parfümeriescirocco weg. Beim dritten Versuch dann erreichte sie die Rolltreppe. Sie erinnerte sich daran, daß ihre Mutter früher immer gesagt hatte, daß man drinnen die Jacke ausziehen soll, wenn man draußen nicht frieren wolle.
Wolle und Stoffe gab es im dritten OG, aber sie fand dort nichts Passendes. Eine Verkäuferin empfahl ihr die Haustierabteilung, die erst letzte Woche eröffnet habe.
Die Rolltreppe spühlte sie und zahlreiche andere Menschen, vor allem Kinder, in die oberste Etage. Es schienen noch andere diesen Tip bekommen zu haben. Die Gänge waren voll mit Kindern, die sich umschauten nach Geschenken für ihre Eltern. Viele hatten nicht mal ihre Mützen abgesetzt und würden später auf dem Heimweg frieren müssen. Ein Verkäufer beriet einen Jungen, der seine Jacke vorbildlich auf dem Arm trug. Sie hörte den Mann sagen: Gerade ein Katzenbaby macht Vätern eine große Freude. Der Junge ließ sich ein graues Kätzchen zeigen und schien es kaufen zu wollen.
Sie lief die Gänge entlang und war begeistert vom reichhaltigen Angebot. Es gab nicht nur Hamster und Kanarienvögel - weder das Eine noch das Andere kämen für ihre Mutter in Frage - sondern auch Hasen, Eichhörnchen und dem Geruch nach auch irgendwo Kühe. Eine Kuh ist zu groß, dachte sie für sich. Aber sie gibt Milch, das ist auf der Folgekostenseite zu berücksichtigen. Naja, trotzdem zu groß. Hunde hatten sie auch und nicht wenige. Sie haßte Hunde. Aber mochte ihre Mutter sie nicht?
Sie zögerte nur einen Moment, verlangsamte den Schritt und schon stürzte sich ein Verkäufer auf sie. Kann ich Ihnen helfen? Es war der Verkäufer, der vorhin dem Jungen mit der Jacke auf dem Arm das Kätzchen gezeigt hatte. Der Junge hatte es genommen, das hatte sie im Augenwinkel gesehen. Er ließ sie sich auch gleich als Geschenk einpacken und zahlte dann mit seiner Junior-Kundenkarte.
Eigentlich suche ich ein Geschenk für meine Mutter und hab in der Stoffabteilung nichts gefunden. Der Verkäufer erklärte ihr, daß in diesem Jahr Tierbabies der letzte Schrei seien. Viele Eltern hätten diesen Wunsch, versicherte er ihr. Sie fragte ihn, was er empfehlen würde und das war ein Fehler. Er setzte zu einem achtminütigen Monolog inklusive Führung durch die gesamte Abteilung an. Sie kamen auch bei den Kühen vorbei, genauer bei den Kälbern. Ausgewachsene Exemplare hatten sie keine mehr da, aber sie würden morgen neue bekommen, hatte der Verkäufer gesagt.
Das Beratungsgespräch hatte ihr jegliche Orientierung genommen. Sie kaufte nur ein kleines Wildschwein, weil es ihr unangenehm war, das Geschäft zu verlassen, ohne irgendetwas zu kaufen. Die Kassiererin reagierte ein wenig verdutzt, als sie das Schwein nicht als Geschenk verpacken sollte. Ich nehme es gleich so und packe es dann zuhause ein, log sie und fuhr mit der Rolltreppe hinunter zum Ausgang. Fast wäre ihr das Schwein davongelaufen - sie hatte sich nicht einmal eine Tüte geben lassen - als sie sich die Jacke wieder überzog.
Sie schützte das kleine Schwein unter der Jacke, hielt die Luft an und sprang durch den heißen Wind hinaus in die verschneite Nacht. Das kleine Schwein quiekte vergnügt, als sie es in den Schnee setzte und rannte fröhlich neben ihr her. Nach einigen Metern sprang es in ein Gebüsch und sie freute sich, daß ihr Plan aufgegangen war. Fast hätte sie so einen winzigen Affen gekauft und dann sicher nicht gewußt, wohin damit. Vorteil Wildschwein.
Sie machte sich zuhause einen Kaukau und warf sich in ihren Schaukelstuhl. Sie überlegte, was sie nun ihrer Mutter schenken sollte und fand, daß ein Tier schon nicht schlecht wäre. Immer nur Computerspiele sind doch scheiße, dachte sie und Verantwortung zu übernehmen schadet auch nicht.
Sie holte sich Bleistift und Papier aus dem Keller und notierte einige Tiere. Nachdem sie zügig drei von der Liste gestrichen hatte, fiel es ihr schwer, sich zu entscheiden. Zu den letzten sechs Tieren schrieb sie sich jeweils Vor- und Nachteile, mit einem plus oder minus markiert, auf. Nach einiger Zeit hatte sie eine schöne Tabelle.
Procyon lotor
raton laveur
raccoon
+ kein natürlicher Feind
+ hat Hände*
+ modisches grau mit schwarz-weiß Applikationen
+ 2in1 (50% Bär und 50% Katze)
+ frißt alles – „das Schwein unter den Tieren“
+ Preisträger „Goldener Waschbär in Gold 2010“
- keine Nachteile
* Sie las im Lexikon nach, daß das Wort raccoon zurückgeht auf ahrah-koon-em, mit dem die Algonkin-Indianer um den Häuptling Powhatan und dessen Tochter Pocahontas den Bären, „der mit seinen Händen kratzt“ benannten. Die spanische Bezeichnung für den Waschbären mapache leitet sich vom aztekischen Wort mapachitli ab, das „der alles in seine Hände nimmt“ bedeutet, stand da außerdem noch.
Vulpes vulpes
renard
fox
+ schlau
+ langer Schwanz
+ limitierte Auflage auch in edlem weiß
- hat die Gans gestohlen
Sciurus vulgaris
écureuil
squirrel
+ wetterfest
+ handlich
+ Flaschenbürste gratis dazu
+ in den Trendfarben weiß, rot und schwarz
+ Preisträger „Goldener Waschbär in Silber 2010“
- benötigt Kletterbaum
Felis silvestris catus
minou
pussycat
+ auch als reine Indoorvariante
+ hochwertige Verarbeitung
+ Dolbysurround Vibrationsalarm
- kotzt schon nach dem zweiten Threesixty auf den Teppich
Mus musculus
souriceau
mousie
+ kompetent im Bereich der neuen Medien
- für Kinder unter drei Jahren wegen Verschluckungsgefahr nicht geeignet
Canis lupus familiaris
cabot
cur
+ braucht keinen Kletterbaum
+ unterschiedlichste Modellvarianten
- umfangreiche Sonderausstattung erforderlich (Zwiebeln, Gurken, Ketchup, Senf, Mayonnaise)
Da sie sich immer noch nicht entscheiden konnte, malte sie auf die Rückseite der Tabelle drei Bilder der Finalisten.
Kandidat 4 und 5 lernen sich kennen
Kandidat 1 verkleidet sich als Kandidat 3
Über ein selbstgemaltes Geschenk würde sich Mutti vielleicht auch freuen, dachte sie gerade noch, bevor sie einschlief. Nacht war ja schon seit Stunden.
In meiner Stadt gibt es am 8.12. einen Vortrag namens „Die Geschichte der modernen klassischen griechischen Musik - von der Antike bis heute“.
AntwortenLöschenArno, das ist kein Kommentar. Außerdem nützt der Veranstaltungstip ohne den Namen der Stadt nix.
AntwortenLöschenFast schon ein echter Borges oder Burroughs. Sehr fein. Ich werde den Text an meine Chefin weiterreichen mit dem Vorschlag einen dokumentarfilm draus zu machen, ok?
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