Schlaglichter (F 2010, couleur 3min)
Im Berufsverkehr durch die halbe Stadt und jetzt das. Heute kein Federfußball. Sie steht vor der Glastür und preßt die Nase an die Scheibe. Ein beachtlicher Türsteher versperrt einen Teil des Blicks ins Innere. Oben gelb, unten grün und bunt. Die ganze Halle voller Tischtennisplatten, -bälle, -kellen, -spieler und was es da sonst noch so gibt. Na prima. Und jetzt?
Sie dreht sich um und schaut zur Station. Es steht noch da. Treppe runter durch das blöde Geländerding durchgeschwenkt, diese Scheißteile, die immer an allen Bahnübergängen und sonstwo Radfahrer aufhalten sollen, weswegen daneben für gewöhnlich ein Trampelpfad entsteht. Zum Terminal. Kundennummer neunnull dreinull fünfneunsieben. Vau. Geheimzahl nullachtfuffzinn. Vau. Retirer un vélo. Vau. Sie sind für das Rad verantwortlich, das Sie… Jaja. Vau. Nummer zehn. Vau. Sie haben Rad zehn ge… Jaja. Knopf gedrückt. Biep. Ziehen. Beutel verknoten und in den Korb. Los.
Bäume, ein riesiger Géant-Markt, unglaubliche Hochhäuser, überall Lichter, leblos. Linksschwenk. Rote Ampel, egal. Rechts über die Straße, Bus, gleich grün und auf dem Fußweg weiter. Verdammte Fußgänger, Slalom. Porte d’Italie, kurzes Zögern an der roten Ampel, rechts Richtung Place d’Italie. Links und rechts ragen Häuser in den dämmernden Himmel. Ein Mann mit Kinderwagen mit Kind. Citroënwerkstatt und ein immenser Supermarkt, beide rot, vor einem an Immensigkeit nicht zu überbietenden Wohnblock, grau. Lange Gerade, leichter Anstieg, in dem Moment, da das leiseste Anschwitzen beginnt, also lange bevor sich die Oberschenkel melden, geht der Kommentar im Kopf los.
Ullrich sieht nicht mehr sonderlich frisch aus, aber wie auch, nach all den schweren Pyrenäenetappen. Er tritt ruhig und beißt sich ran. Tritt rein, Ulle! Er kommt ran, jetzt ist er dran. Schauen Sie sich das an, er fliegt vorbei, er fliegt vorbei! Das kann die Entscheidung sein…
Links ein Peugeot. Phänomenales Blau. Ampel, rot. Wieder keine Lust anzuhalten. Vor einem Blumenladen schreit ein Kind. Rue Tolbiac, Café Canon, rote Leuchtschrift auf der Markise, kurzer Schwenk nach rechts zum Zebrastreifen, grün, gerade weiter zum Rechtsabbiegen. Nochmal die Café-Canon-Schrift links. Sachte bergab. Der Notwistbeutel flattert im Wind. Die Federfußballschuhe darin. Häßlich, aber saubequem (wie man immer sagt bei häßlichen Kleidungsstücken). Lächerlicher, bunter Großstadtjogger. Apothekenkreuz blinkt grün, Zeit und Temperatur darin rot. Ein Jaguar überholt und bremst jetzt abrupt. Dritte Bremsleuchte in der Fondscheibe. Scheiße, Vollbremsung, das Hinterrad steht förmlich neben ihr. Adrenalin jetzt auch. Nächste Ampel in Sicht. Ralentir auf der Straße. Niemals! Aller Schwung mit in den Berg. Training ist ausgefallen, also schwersten Gang rein und volle Möhre hoch. Läuft. Die Oberschenkel sind jetzt auch da. Und natürlich wieder der Kommentar. Quäl dich, du Sau! War das Bölts? Pinke Mützen, Ullrich, Riis, Bölts, Altig, Zabel. Alle sind sie jetzt wieder da, verschwommene Bilder. Auch ein - diesmal richtiger - Jogger, verirrt in der Stadt, schräg links vorn. Schwarzer Pullover, Hose, gelbe Schuhe. Asics. Unumgängliche rote Ampel. Noch ein Peugeot 607. Schwarz. Taxi. Wird ein Klassiker, ganz sicher. War ihr noch gar nicht so aufgefallen. Nebenan confit de canard für vierzehn Mark. Grün, los. Zweiter Gang, dritter, volle Kraft nochmal. Links ein riesiger Wohnblock, schwache Umrisse im Dunkel. Nein, das war vorhin schon. Bilder fliegen vorbei, Flackern, Linien. Zum Glück nicht auch noch Musik. Der Kopfhörer als abgeschotteter Raum, nur noch Bilder und Lichter. Sehr viel Verkehr übrigens. Rechts daran vorbei, zwischen den Spiegeln der parkenden und kaum schneller fahrenden Autos durchbalancieren. Oma von links bei rot. Warum trägt in dieser Stadt niemand normale Schuhe? Menschen hasten in die Métro. Grün. Weiter. Halblinke Kurve. Eine große Werbung auf dem Hausdach, aber noch unscharf. Schon wieder am Kreisverkehr. Halten. Los. Schalten, schneller als eine Vespa. Wieder lange Gerade. Bus. Diesmal fährt er nicht los, als sie ihn überholt. Vorn eine überirdische Métro wie bei Garibaldi. Nacht und ein Lichtstreifen auf der Brücke. Sie darunter. Boulangerie. Apothekenkreuze überall. Letzte Kreuzung. Rot, Fußweg, quer. Hupen. Endlich Hupen. Das fehlte noch. Platz zwei, von dem sie vorhin das Rad genommen hatte, ist noch frei, Klick, orange, biepbiep, grün.
Eine Stunde ist vergangen ohne daß es jemand gemerkt hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen