Sonntag, 6. Juni 2010

Er hatte sich so eben am anderen Ende der Bar im Spiegel entdeckt und fühlte sich beobachtet. Vielleicht ein Doppelgänger? Garçon, einen Cognac! Mit Kaffee war hier nichts mehr zu erreichen. Konnte er den Verfolger loswerden? Erschießen? Mittwoch, mittags, auf dem Boulevard Saint Michel? Unmöglich. Vielleicht noch einen Aperitif. Oder gegenüber ins Kino? Vielleicht lief ein alter amerikanischer Gangsterstreifen. Wie konnte ich nur den Schalldämpfer im Wagen vergessen?

Jetzt liegt er mit dem alten Peugeot auf dem Grund der Seine. Verdammte Scheiße! Was tun? Que faire?, hatte Bordiac immer gesagt. Aber höchstwahrscheinlich lag auch er jetzt auf dem Grund der Seine. Oder hatte sich in den Ruhestand verabschiedet. Jedenfalls hat ihn ewig keiner gesehen. Aber was heißt das schon. Mich hat auch ewig keiner gesehen. Ich selbst hab mich ja ewig nicht gesehen, seit mein einziger Spiegel, am Peugeot, versenkt war. Und jetzt also am Ende der Bar.

Diese Spiegelwände in kleinen Geschäften und Kneipen hatten ihn schon als kleiner Junge verunsichert. Mehr vorgeben, als man ist. Und dann läuft irgendwer immer auf. Ein kleiner Träumer, der ganz im Hier und Jetzt träumt, der nicht an Spiegelwände denkt, weil es sie für ihn nicht gibt. Phantasie war nie seine Stärke gewesen. Piraten, Indianer, Außerirdische. Zu bunt, zu lächerlich irgendwie. Wir müssen durch den Spiegel gehen, hieß es in einem alten Chanson. Doch wie? Vielleicht zwei oder drei Mal war er in so einem Laden an den Spiegel gelaufen. Aber durch ihn hindurch? Unmöglich.

Ein Schauer fuhr durch ihn. Er hatte wild zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen erster und dritter Person gewechselt, obwohl er eigentlich ganz gegenwärtig nichts tat, als einen Kaffee zu trinken und eine Postkarte zu schreiben. Fünf kleine Äffchen klettern auf einer Giraffe. Nicht schlecht für einen achten Geburtstag. Zwei Hasen auf einem Esel. Das war letztes Jahr. Jetzt immer nur der Spiegel und die große Stadt.

Finger weg von meiner Paranoia, die war mir immer lieb und teuer.

Eine Bar, ein Stift, ein Heft. Rauchen müßte man. Und Bier trinken. Das ist morgen früh gleich das Erste. Aber heute nicht mehr, es ist gleich eins. Ein verlorener Tag beginnt. Überall Menschen, die sprechen und essen, mein Kaffee ist leer und ich schreibe auf, was ich sehe. Vielleicht sollte ich die Brille absetzen? Dann guckt da auch keiner mehr aus dem verdammten Spiegel. Und ich kann beruhigt gehen.

Der schöne Schalldämpfer...

2 Kommentare:

  1. ach ja, diese wechsel von vergangenheit in zukunft und von der dritten in die erste person, das erinnert mich nur zu gut an meine magisterarbeit, damals als ich anfang meiner wissenschaftlichen karriere stand- und immer ein 3/4 auf meine geburtstagsgeschenke warten musste.

    aber gute pointe am ende. zieht die karre schön aus dem dreck. gleich einem martenstein text

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  2. sehr geehrter herr doktor, hat er gesagt und
    vielen dank für ihren kommentar und so. ein wenig hat will aber gewundert, daß der herr doktor gar nicht sowas geschrieben hat wie: "was soll das? der text ist doch aus two knights in paris!". aber wenn er die pointe mag, die doch gar keine ist (ist ja auch kein witz! cf. neuer eintrag! das ist ein witz!), ist es auch gut. jeder wie er will. Will Future.

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