Sonntag, 1. August 2010

Wer hat die Telemann-CD? Verdammte Scheiße!

Will Future traf am Rande des Nichtschwimmerbeckens in Bohnitzsch den Leipziger Erfolgsorganisten Johann Sebastian Bach. Er gewährt im Interview Einblicke in sein Tour- und Sexualleben – also los!

Johann Sebastian –

Du kannst ruhig Sebi sagen.

Okay, Sebi, geile Badekappe!

Das sind meine Haare.

Ah ja. Wenn ich mich hier im Freibad so umsehe, fällt auf, daß du nicht sonderlich braun bist, liegt das daran, daß du jetzt schon seit April auf deiner ersten Clubtour bist?

Man kommt zu nix, sag ich dir. Heute bin ich zum ersten Mal hier dieses Jahr, obwohl ich eigentlich eine echte Wasserratte bin.

In allen Internetforen liest man, daß das Publikum begeistert ist von deinen Konzerten – liest du sowas? Und wie ist dein Résumé der Tour?

Also, es ist echt der Hammer, Alter! Wir haben ja schon einiges an Festivals gespielt und so, aber die Clubs sind echt nochmal was anderes. Die Enge, der direkte Kontakt. Wenn ich da so vor mich hin orgele und die Leute gehen tierisch ab, das ist schon geil. Zu dem anderen Teil der Frage: nein, ich lese sowas nicht. Ich kann auch gar nicht lesen. Außer Noten natürlich! (lacht)

Du bist, ja jetzt auch schon ganz schön rumgekommen. Wo war es denn am besten?

Dieses Jahr hat es mir am besten in Eisenach und Köthen gefallen und die ersten fünf Brandenburgischen Konzerte waren ja auch fantastisch, aber vor drei Jahren im Redbullinderhalbenliterdoseohnezucker-Stadion war es schon unschlagbar. 40000 Leute und ich mit meiner roten Truhenorgel im Mittelkreis! Die Scheinwerfer waren so hell, daß ich eine Sonnenbrille beim Spielen getragen habe und trotzdem immer so hoch schielen mußte. Und alle hatten einen Schal dabei mit „Alles außer Bach ist Scheiße“ und so. Naja, ich hatte halt wie immer eine Fahne.. (grinst)

Und nach so einem Konzert, wie kommst du wieder runter? Was machst du dann?

Bei solchen großen Europatourneen geht‘s dann direkt in den Nightliner und weiter. Wenn du heute hier und morgen dort spielst –

Da muß ich kurz einhaken: Man liest immer mal wieder von deinem hohen Verschleiß an Groupies. Ist da was dran? Fahren die dann mit zur nächsten Stadt?

Nun, zunächst mal ist an jedem Gerücht natürlich ein Fünkchen Wahrheit und wenn man Milch haben will, muß man ja nicht eine Kuh kaufen, sondern kann hier und da die verschiedenen Geschmäcker genießen, du verstehst!? Ich bin da durchaus Connaisseur. Aber mehr als dreivier äh Milchgläser schaffe ich auch nicht mehr nach dem Konzert. Man wird halt nicht jünger. Wir tun die dann meist nachts auf irgendeiner Raststätte raus. Macht Telemann auch nicht anders.

Apropos Telemann, wie findest du seine neue EP?

Ich finde sie grad gar nicht, weil sie irgendein häßlicher Hobbit verbummelt hat. Seit drei Tagen schreie ich nur rum. Das ist das beste seit Allan Stockers ersten Symphonien! Ich muß heute nach der Probe in der Thomaskirche gleich noch zu Müller, um sie neu zu kaufen. Hoffentlich bringe ich mich mit dem Kauf nicht um den ersten Platz in den Charts.

Deine letzte Single hat ja Platin bekommen –

Nein, nicht die Single: ICH habe Platin für die Single bekommen.

Ach so, dann hab ich das falsch verstanden.

Ja, offensichtlich.

Nun, wollen wir mal rutschen gehen?

Nein, hier war ich genau einmal rutschen. Ich rutsche ja immer auf den Knien, mußt du wissen, weil diese Badeshorts sonst so bremsen und langsam rutschen ist ja wohl für‘n Arsch. Jedenfalls: die Rutsche hier ist schlecht verarbeitet. Viel zu breite Fugen zwischen den Einzelteilen, das tut höllisch weh.

Dann lassen wir das und kommen zum nächsten Teil des Interviews.

Laß uns mal vorher zum Kiosk rübergehen, ich will‘ne Wurst.

Au ja! Und Pommies!

Beide gehen rüber zum Kiosk, Bach nimmt eine Currywurst mit einer halben ungetoasteten Toastscheibe und ein Bier, Future entscheidet sich gegen die „Pommies“ und nimmt ein Salami-La-Flûte und eine Dose Liptonice.

Hast du gesehen, die beiden Jungs haben dich ganz groß angestarrt.

Ist mir gar nicht aufgefallen.

Doch doch. Der eine hat auf seinem Handy den rülpsenden Bach als Hintergrundbild. Empfindest du sowas als Bloßstellung, wenn jemand so einen schwachen Moment von dir in der Öffentlichkeit kommerziell ausnutzt?

Nu ja, was soll man machen, wenn die beim Leipziger-Allerlei-Festival soviel Bier ausschenken, muß man halt rülpsen. Und wenn dann ein Photograph abdrückt – geschenkt. Andererseits hätte ich ja auch das Mikro ein wenig wegdrehen können. Ich finde aber (innehalten) Du scheiße, der Rotzer dort hat das zweite Allegro aus dem letzten Brandenburgischen Konzert als Klingelton.

Mit Video! Wenn ich das richtig erkenne. War es eigentlich schwer, Woody Allen dazu zu bringen, ein Video für dich zu machen?

Für Geld macht der alles, hat er mir gesagt und nachdem ich ihm erklärt hatte, daß ich eigentlich Boccaccio haben wollte, der aber abgesagt hat, weil er grade Haus baut und kaum Zeit hat, war Woody dabei.

Das Video hat ja schon so eine Prometheus-Ästhetik, oder?
Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht. Ich spiel halt meine Lieder und wenn die Leute das mögen, ist es gut. Und wenn nicht, hab ich ja genug Kohle gemacht. Die hohen Eintrittspreise sind schon ’ne feine Sache.

Gehört zu deinen wirtschaftlichen Plänen auch das Bachfest, das du nächstes Jahr starten willst? Oder willst du einfach ein paar befreundete Mucker einladen und jammen?

Nein, das war eigentlich so’ne Schnapsidee vom jungen Beethoven, der übrigens seit gestern als Headliner bestätigt ist, und mir. Amadeus (Bach nennt Beethoven Amadeus, Anm. d. Red.) meinte so, daß doch die richtig coolen Städte wie Paris, London oder auch Hamburg einen Fluß haben, an dem sie ausgerichtet sind. Das sah ich auch so und meinte dann: Und? „Sogar Dresden hat jetzt neuerdings die Elbe.“ Ja, und, Amadeus, was willst du denn jetzt von mir? „Nur Leipzig hat keinen richtigen Fluß.“ Ich verstand immer noch nicht, aber dann meinte er: „Die haben keinen Fluß, die brauchen wenigstens einen Bach!“

Das hast du dir doch grad ausgedacht?

Nach nur einem Bier in der Mittagssonne? Ich bin doch nicht mehr vierzehn.

Ein kleiner Junge stürmt auf Bach zu und ruft: „PAAPAA!!“ Dieser sieht die Mutter des Kleinen an und sagt: „Ist dem so?“ Sie verneint und entschuldigt sich für den Jungen. „Wie heißt du denn, mein Junge?“ „Johann Wolfgang.“ „So, Johann Wolfgang. Du bleibst jetzt mal kurz beim Onkel Will hier und ich werde mich mit der Mama um dein kleines Geschwisterchen kümmern.“ „Aber er hat doch gar kein…“, erwidert die Mutter erst, aber dann versteht sie und Bach und sie verschwinden in die Umkleidekabine.

Freitag, 30. Juli 2010

Heute ist nicht Vorgestern, Sven-Johannes.

Stadt aus Licht
Oder Regen

Leere Fenster, sogar in der Bahn
Kein Schwein auf der Straße
Nicht mal Wurst

Ein Hund weint eine Träne
Drei Autos und noch zwei Tage allein
Eine blau schimmernde Bar hilft auch nicht

Eine Katze springt vom Dach
leckt sich den Bauch und
macht ihm stumm die Tür auf

(der Käse schmeckt nicht gut, aber immerhin)




Kauf bitte Vergessen

schönes, nacktes Vergessen
Scheiß Wut scheiß Schmerzen scheiß Brüllen
Morgen will ich lachen
Warte nicht, geh, fliege
Komm schnell wieder und küß mich




Deine Mutter

Deine Mutter
Macht Salat mit Blumen
Sie wurzeln im Himmel
Und ziehen die Vögel
Sie fliegen schön und träumen von Äpfeln
Ewig nackt, in ihrer Blüte

Mittwoch, 28. Juli 2010

Ein Stuhl muß mit
Sitzt sich besser,
küßt sich besser
Verfange dich hier, schöner Sommer
Würdest uns wiederbeleben.
Schlafen jetzt
Immer weiter und träumen.
Hemd und Kleid schauen frisch nach Eden
Kalt ist’s da nie.

Mittwoch, 7. Juli 2010

Robert Florida. Ein Name für einen Pornostar. Mit Stringtanga und allem drum und dran. Hetero, Homo, Dreier, Hauptsache wenig Dialoge oder wie das heißt zwischen den Übungen. (Warum liegt da Heu auf dem Boden?)

„Städte ohne Schwule und Rockbands verlieren ihre wirtschaftliche Anziehung.“ (intro #182, Mai 2010, S. 31)

Robert Florida ist Ökonom, also der Wissenschaftler unter den Businesskaspern und er kennt sich mit Gentrifizierung aus. Man kann ihn auch buchen. Ob seine Eltern sehr enttäuscht sind, daß er kein Pornostar geworden ist? Bei diesen Voraussetzungen (Name)?

Man erinnere sich an die Familie Bedarf, der beispielsweise die Eröffnung jeglicher Handwerksbetriebe versagt blieb, weil die Kundschaft nicht Fleischerei Bedarf, nicht Schneiderei Bedarf und nicht Trocken- und Tiefbau Bedarf verstand. Traurig. Und Robert Florida ignoriert so etwas einfach, obwohl er Amerikaner ist. Oder russischer Spion?

Gentrifizierung jedenfalls.

Kennt das Schreibprogramm noch gar nicht. Wahrscheinlich also eine Modeerscheinung. Nun. Aber

Mode ist der Spiegel unserer Zeit.
Wir sehen uns in ihm und sagen:
Tut uns leid, das sieht vielleicht gut aus,
aber das sind wir nicht.
Wir haben ein viel ausdrucksstärkeres Gesicht.

Mittwoch, 30. Juni 2010

Ich habe einen Reisegott, und er ist aus Gummi, man kann ihn aufblasen. Er kommt überall mit.

Mit seinem richtigen Namen heißt er ›Zippi Oloron‹ – weil er aus einer kleinen Stadt in Frankreich stammt, die heißt Oloron. Da lag er in einem verstaubten Schaufenster und sah trübsinnig drein, weil sich niemand um ihn kümmerte. Er hatte etwas durchaus Götzenartiges –: er war hellgelb, mit grünen Gesichtszügen, die unentwegt grinsten, als Uniform hatten sie ihm so etwas wie einen Frack der großen französischen Akademie aufgemalt. Auf dem Kopf saß ihm eine spitze, hohe, rote Tüte. Ich kaufte ihn sofort.

Von Oloron habe ich wenig gesehen – ich blies den ganzen Tag Zippi auf. Er hatte es mir gleich mitgeteilt, dass er Zippi hieße, Glück bringe und von Beruf Reisegott sei.

Man konnte ihn auf tausenderlei Weise aufblasen. Man konnte ihn rapide aufpusten, dass wir beide ganz dick vor Anstrengung wurden – auch konnte man ihn andante beblasen, säuselnd sozusagen ... Dann lernte er manches: er konnte, wenn man ihn dazu anhielt, stramm stehen oder die Hände auf dem Rücken verschränken, ach! und dann kamen die beiden kleinen dicken Wurstärmchen wieder nach vorn geschnellt, wenn er es gar nicht mehr aushalten konnte vor lauter Atmosphärendruck.

Zu seiner ganzen Geltung aber kam Zippi erst in Lourdes.

Ich hatte mir über einer Baumwurzel ein Bein aufgeschlagen, und mußte nach Lourdes zurückfahren, um mir von einem richtigen Menschenarzt im Bein herumschneiden zu lassen. Mit der Wunderquelle hatte ich es nicht so im Sinn ... Der Arzt, ein tüchtiger pieksauberer Mann, schnitt, verband und packte mich für zehn Tage ins Bett. Zippi immer mit.

Da regierte er den ganzen Laden. Er stand auf dem Kopf, las alles mit, bekam zu essen und machte alle seine Kunststücke auf einmal. Nachts kuschelte er sich unter das Bettdeck, und einmal wäre er um ein Haar in den Verband mithineingewickelt worden. »Was ist denn das –?« sagte der pieksaubere Doktor. »Das ... eh ... das ist eine Puppe!« sagte ich. (Was eine Gotteslästerung war. Zippi ist keine Puppe.) Der Arzt sah mich scheu von der Seite an, ob mir vielleicht auch noch andere Pflege not täte. Nein, danke.

Zippi bringt Glück auf der Reise – das ist erwiesen. Gepäck, das mit dem Zuge nicht mehr mitkommen kann, weil es – immer mal wieder – zu spät aufgegeben wurde, kommt auf geheimnisvollen Wegen nachgetrudelt; Züge, die traditionelle Verspätung haben, kommen pünktlich an, und er, der Gewaltige, hat sogar schon einem Mitropa-Kellner anständigen Kaffee entlockt. Da waren wir aber beide sehr stolz.

Zippi fährt nicht gern im großen Schrankkoffer; er wohnt in der Handtasche. Er trinkt nur ein wenig Zahnwasser, sonst benimmt er sich recht manierlich, und auch Opfer will er nicht dargebracht haben, der Gott. Von Zeit zu Zeit nur – ich fühle das in meinem Herzen – will er hinaus. Dann mache ich die Tasche auf und blase den Flachgeglätteten auf. Er darf dann aus dem Fenster sehen. Sind junge Damen im Coupé, so halten sie das für eine höchst dämliche Art der Anknüpfung, und die Luft wird ganz hellkalt, sie sehen mich gar nicht mehr an. Sind es ältere Damen, so erwachen Mutterinstinkte in ihnen, und eine besonders nette, freundliche, alte Dame hat sich Zippi denn auch einmal herüberreichen lassen. Aber er wollte nicht, schüttelte sich, oben fiel der Propf aus seinem Hutzipfel, pfiff! machte es – und die entsetzte Greisin hielt einen weichen Gummilappen in der Hand.

Zippi ist widerstandsfähig und sehr tapfer. Zwischen Basel und Bern habe ich ihn einmal einem schrecklichen Kerl unter den Sitz geschoben, der fuhr auf, wie vom wilden Affen gebissen, und warf Zippi in die Ecke. Ich hob ihn still auf und tuschelte ihm etwas zu – da verließ der Kerl das Coupé und wollte es nicht mehr wissen.

Man kann Zippi auch an die Gasleitung anschließen, doch ist das nicht sehr fein, und er hat es auch nicht gern. Ich drohe ihm manchmal damit, wenn er mir meine Wünsche nicht erfüllt. Er hat maßlose Angst davor: wenn er ganz voller Gas ist, sieht sein Kopf aus wie ein älterer Gummiball, mit leichten Rissen, und sein Gelächter klingt dann krampfhaft, er grinst nur noch vor Anstrengung, nicht aus dem Leim zu gehen. Übrigens kann er so ziemlich alle Sprachen, die wir brauchen: französisch und englisch und schweizerisch und grob – und jetzt habe ich ihm die aufgemalten Zähne wegradiert, nun hat er kein Gebiß mehr, und nun kann er auch dänisch.

Ich bete ihn selten an, wir glauben uns beide das nicht so recht. Er ist zwar als Hausgötze angestellt – aber schließlich bei dem Gehalt ... Es ist ein Gott, mit dem man sich duzt; ich sage, wenn ich in eine fremde Stadt komme, so beim Auspacken: »Na, du – Zippi ... !« und dann grinst er. Wir sind uns zu nahe, um Gläubiger und Gott zu spielen – dazu gehört Distanz. Merkwürdig, wenn man einen Lachenden, wie diesen Zippi, sehr lange ansieht, dann wird das lächelnde Gesicht erst zur Maske, dann zum bemalten Ball, dann unerträglich – und auf einmal ist es ganz ernst. Da gleitet nun alles so an ihm vorüber – unbeweglich bleibt er, wohin lacht der Kerl –?

Ich bin ihm neidisch – er sieht etwas, was ich nicht weiß. Nachts habe ich ihn manchmal heimlich belauscht; einmal lehnte er an der Whisky-Flasche, und ich guckte um die Ecke und sah ihm zu. Vielleicht würde ich es jetzt herausbekommen, worüber er lacht ... Aber als ich fünf Minuten und zehn Minuten gestanden hatte, da sah ich: er hatte mich schon lange bemerkt, grinste vor sich hin und über mich und nach wie vor über sein großes Unbekanntes. Habe ich dich dafür, mit deinen kurzen Batterbeinen, der Katze aus dem Rachen gezogen, sehr vorsichtig und unter frommem Gemurmel? Du Gummigott.

Sieh, wie er lacht! Ja – sei still. Bald wirst du eingepackt, wenn wir hier oben fertig sind, in dem fetten Dänemark, und dann rumpelt es eine ganze Weile, und du wirst ein bißchen von den Zollmännern revidiert – und dann, wenn du aufwachst, wenn du wieder aufwachst, du dummer ewiger Hausgötze: dann sind wir wieder zu Hause, bei dir zu Hause – in Frankreich. In Paris.

Peter Panter: Der Reisegott Zippi. In: Vossische Zeitung, 03/07/1927.

Mittwoch, 23. Juni 2010

In dem Moment, als sie sich verabredeten, setzte ein gewaltiger Schub Vorfreude in ihm ein. Er sah sie jetzt ganz deutlich vor sich, obwohl er doch eigentlich ganz allein nur auf der Landstraße stand und die Telephonzelle ansah. „Fernmündlich“, schoß es ihm durch den Kopf. Seine Großmutter war zwar schon vor über fünf Jahren gestorben, aber bei wichtigen Telephonaten, und das hier war ganz bestimmt das Wichtigste überhaupt, mußte er immer noch an sie denken. An sie, an „fernmündlich“ und an „Münzfernsprecher“. Immer nur ganz kurz blitzten diese Gedanken auf, dann dachte er wieder an SIE. SIE, die er also morgen Abend ins Lichtspielhaus ausführen würde. SIE – seine holde Maid.

Er würde mit dem Bus in die Stadt fahren, sich vorher adrett kleiden und sie dann den ganzen Abend, Film hin oder her, ansehen, sich an ihr laben, sie vielleicht gar berühren. Ihm wurde ganz blümerant zu Mute bei diesem Gedanken.

Er ging die Straße entlang zurück nach Hause. Er blickte sich um und einzig das Gelb der Telephonzelle durchbrach das Grau, das ewige Grau, das der Regen über Himmel und Felder gelegt hatte. Er bog auf einen Feldweg ab, hüpfte wie ein Schuljunge zwischen den Pfützen in Richtung des elterlichen Hofes. Das Gartentor quietschte wie immer beim Öffnen. Völlig durchnäßt, rauchte er unter dem Verschlag noch eine Zigarette bevor er ins Haus trat. Seine Eltern hatten das Grammophon angestellt, wie sie es an Feiertagen zu tun pflegten, das konnte er von draußen hören. Die krassen Beats hallten durch das Gehöft. Er sah durchs Fenster, seine Mutter dancete wie bekloppt. Während er noch einmal zum Brunnen ging, hatte seine Mutter an der Feuerstelle eine Pizza aufgetaut, die sie beim Trödler auf dem Markt erstanden hatte. Nach dem Essen ging er in seine Kammer und schlief vorfreudig ein.

Der Bus ging um halb vier. Bereits seit zwanzig Minuten stand er am Straßenrand und schaute minütlich auf seine Taschenuhr, die ihm sein Oheim vor Jahren geschenkt hatte, um sie gleich wieder in seine Westentasche zu stecken. Er besaß nur diese eine Weste, die er nur zu besonderen Anlässen trug, genau wie die grünen Schlüpfer, doch das konnte man freilich gar nicht sehen oder wissen.

Nachdem er einen Fahrschein gekauft hatte – das Ticket war noch nicht erfunden damals – setzte er sich neben die alte Frau Augenstern aus dem Nachbardorf. „Sie sehen aber chic aus, junger Mann!“ Sie musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle und er fühlte sich ob des Lobes ein wenig gebauchpinselt, weswegen er fast unmerklich zwar, aber eben doch errötete.

Der Bus setzte sich in Bewegung. Bis zur Stadt waren es gut 25 Meilen. Die Felder rauschten am Fenster vorbei, er schlummerte ein. Munter wurde er erst, als der Bus ruckartig zum Stillstand kam. Er blinzelte ein wenig und blickte verdutzt um sich: Apfelbäume, Fachwerkhäuschen, ein herumtollender Junge, alles wie gemalt, ganz herrlich pittoresk. „Du Lausbub!“ brüllte der Busfahrer den Dreikäsehoch an, weniger wütend als viel mehr froh darüber, daß nichts passiert war. Der Junge taumelte verschämt zurück in die Arme seiner besorgten Mutter, die sich entschuldigte und ihren Sohnemann glücklich in die Arme schloß. So wurde das Dörfchen wieder zu dem Kleinod, das es gewesen war, bevor der Bus es durchkreuzte.

Als der Bus sich wieder in Richtung Stadt, in Richtung Lichtspielhaus, in IHRE Richtung bewegte, schaute er noch einmal zurück und sah das gelbe Ortseingangsschild, das immer kleiner wurde bis es am Horizont verschwand. „Labsal – freie Kreisstadt“ stand darauf und er wunderte sich darüber…